Mit alten Werten auf die Überholspur?!
Welche Werte stehen für das Hotel der Zukunft?
Es wird Sie eventuell verwundern, aber ich habe vor vielen Jahren mein berufliches Leben mit einem der schlechtesten Abiture meines Jahrganges begonnen. Ich liebte Kunst, Poesie, Alte Sprachen, Geschichte, das Theater und unsere Schülerzeitung. Nur die Noten wollten nicht so wie ich – und das nicht zuletzt wegen eines fleißig angezüchteten Pygmalion Komplexes* durch das Wirken meiner Mathelehrer.
Ich entledigte mich somit freudig meiner Fesseln an das Kleinstadtleben und schlug ein neues Kapitel auf in der Schweiz an einer der ersten Universitäten im Bologna-Abkommen. Getreu meinem Motto: Warum es anderen gleichtun, wenn es auch anders geht?
Angespornt durch das Vertrauen meiner Eltern, überwand ich meine Versagensängste und öffnete mich schnell dem Studentenleben in der Ferne. Meine 300 Kommilitonen von 5 Kontinenten und unzähligen neuen Kulturkreisen zeigten mir jeden Tag, dass ich nicht allein war auf dieser Welt. Interkulturelle Studien und die Welt des internationalen Managements ließen bald den anfänglichen Kulturschock weitestgehend vergessen.
Damit begann meine Reise. Nach zwei Jahren hatte ich mich unter die besten 15 Prozent meiner Universität hochgekämpft, einen der begehrten Stipendienplätze der Washington State University ergattert, ein Jobvertrag ein Jahr vor meinem Universitäts-Abschluss unterschrieben und die Aufnahme in die internationale Studentenverbindung „Eta Sigma Delta Honor Society“ erhalten.
Nach 19 Jahren hatte ich innerhalb von wenigen Monaten eine 180 Grad Wende vollbracht. Wie kam es dazu? Zurückblickend betrachtet, haben mich die Werte und die Energie meiner Kommilitonen an der Uni und in der Studentenverbindung nachhaltig geprägt und motiviert. Gemeinsam verpflichtete wir uns den „Points of Honor“ (ähnlich zum Hippokratischen Eid bei den Ärzten).
Diese „Werte der Ehrenhaftigkeit“ rufen dazu auf, ein Leben miteinander und füreinander in Excellence, Leadership, Creativity, Service & Ethics zu führen! Cesar Ritz – einer der Gründerväter der Luxus-Hotellerie und Namenspatron meine Alma Mater - komprimierte die Bedeutung der fünf Werte auf einen Satz: „Ladies and Gentlemen - serving Ladies and Gentlemen“.
Werte sind so viel mehr als leere Worthülsen. Sie sind unser Versprechen an uns, unsere Familien, Freunde, Mitarbeiter und Kunden – und an die Zukunft. Ich frage mich angesichts der aktuellen weltweiten Situation, wie es mit den Werten in der Hotellerie bestellt ist. Leben & wirken wir für unsere Mitarbeiter und Gäste wirklich noch mit Exzellenz, Führung, Kreativität, Dienstleistung und Ethik? Oder sind diese Werte durch die COVID-Pandemie, dem Schwert der Controlling-Abteilungen, der überrollenden Digitalisierung und Cookie-Cutter-Strategien** der Ketten-Hotellerie endgültig verloren gegangen?
Mich persönlich haben meine Werte von den alten Griechen zu den Themen der Zukunft geführt, Hürden überwinden lassen und mich immer wieder aufgerichtet, wenn ich am Boden lag. Das lehrte mich als Change Agent und Transformatorin immer zuerst darauf zu schauen, was gut und wertvoll ist in einer Firma - und erst dann danach zu suchen von welcher Basis aus was und wie verwandelt werden kann.
Selten sind es die Traditionen, Glaubenssätze, Zahlen und Fakten - fast immer jedoch die Werte der Menschen, die helfen auch schwierige Zeiten zu überstehen und sich neu zu erfinden. Denn wie sagte Hannah Arendt so trefflich: „Wenn Menschen zusammenkommen, dann muss man mit Wundern rechnen. Wir wissen nie, was passiert. Das ist ein anderer Ausdruck dafür, dass die Welt nicht berechenbar ist. Wir wissen es nicht. Wir werden alles probieren und dann werden wir sehen, wie wir damit klarkommen."
Wie zeitlos für diese Welt, die uns nach so vielen Jahrzehnten volatil, unberechenbar, komplex und ambivalent auf Trapp hält. Was denken Sie? Welche Werte erwarten uns im „Hotel der Zukunft“?
**Pygmalion Komplex: wenn Dir jemand einredet, dass Du es nicht kannst und Du es irgendwann wirklich glaubst und danach handelst. Für mehr: https://de.wikipedia.org/wiki/Pygmalion-Effekt
**Cookie-Cutter-Strategie: umgangssprachlich eine Vervielfältigungs-Strategie, die Konzepte, Geschäftsmodelle oder Handlungsweisen imitiert, kopiert und vervielfältigt, ohne dabei individuell, originell oder authentisch zu sein. Der Begriff geht auf die Handlung zurück, bei der man mit Hilfe einer Plätzchenform beliebig viele, gleichwirkende Plätzchen aus einem Teig aussticht.
Ein Artikel verfasst von Britta Viktoria Opatz, erschienen am 30. März 2021.